Meine Damen und Herren, nachdem wir nun von AlgerierInnen am Randedes Selbstmords gehört haben, möchte ich zurück zu denjenigen im Exil kommen. Wieso ziehen es einige unter ihnen vor, sich umzubringen? In der Menschenrechtserklärung steht: "Jeder Mensch hat das Recht, Schutz vor Verfolgung zu suchen, und in einem anderen Land Asyl zu beantragen."

Meine Damen und Herren, es kommt vor, dass Algerier, die den Weg des Exils nehmen um anderswo Schutz zu suchen, mit dem Traum von einem besseren Leben, mit der Härte des realen Lebens konfrontiert werden, und schnell desillusioniert sind. Auf dem Boden des Exils angekommen, sind sie oft Opfer von Vorurteilen, Misstrauen, Angst und Verdächtigung. Die Mächtigen Algeriens verstärken diese Reflexe noch, indem sie die Idee verbreiten, die Leute, die vor ihrer Repression geflüchtet waren, seien Terroristen. Sie sind oft Opfer von Unverständnis, der Nichtannerkennung und der administrativen Maschinerie, die ohne Gnade läuft, der Angst vor der Ausschaffung nach Algerien, wie es der Fall war in Frankfurt bei dieser 40-zig jährigen Algerierin, die so verzweifelt war nach Monaten immer noch auf die Antwort ihres Asylgesuches zu warten, dass sie sich im dritten Stock eines Durchgangszentrums beim Flughafen erhängte. Algerier, die vor der Verfolgung in ihrem Land flohen, sehen sich so einer neuen Art von Verfolgung gegenüber.

Nun, wenn man geschwächt ist, und sich nicht mehr gegen die Verfolgung wehren kann, aus Einsamkeit und Mangel an Solidarität denkt man, "dass der Suizid ein Mittel ist, um sich vor der Verfolgung durch die Menschen zu schützen", wie es Chateaubriand ausgedrückt hat.

Aber der Selbstmord eines Flüchtlings kann auch einen politischen Akt darstellen. Nehmen Sie den Fall des algerischen Künstlers Mohamed Amzert. Er ist 1994 im alter von 45 Jahren nach Frankreich ins Exil gegangen. Der Krieg richtete Verheerung in Algerien an. Frankreich unterstützte das Regime von Alger auf allen Ebenen, besonders der militärischen. Ende 1994 und Anfang 1995 haben sich die mächtigsten Politiker Algeriens zweimal in Rom getroffen, unter der Aufsciht der Gemeinschaft von Sant'Egidio und haben einen nationalen Vertrag unterschrieben, der eine Plattform für eine politische Lösung des Algerienkonflikts sein sollte. Die militärischen Machthaber haben dieses Friedensangebot in unverantwortlicher und arroganter Weise zurückgewiesen, sowohl gesamthaft als auch im Detail. Die französische Regierung fuhr gleichwohl fort, das Regime zu unterstützen. Vier Monate später entschied sich Mohamed Amzert, von Beruf Regisseur, das Ende seines eigenen Lebens in spektakulärer Weise in Szene zu setzen. Er hat sich am 12. Mai 1995 in einem Pariser Park dem Feuer geopfert. Seine Tat, die in der Öffentlichkeit vollbracht wurde, war kein persönlicher Akt, sondern zeigt eine grosse moralische und politische Bedeutung.

Lieber Bruder Hamid Bakiri, du hast uns in einem Alter verlassen, in dem andere, die deine Verzweiflung nicht kannten, erst Freude am Leben bekommen.

Wir würden dich so gerne fragen, den Poeten deiner Stadt Constantine, der vor 40 Jahren ebenfalls im Exil lebte, paraphrasierend: Wer kam in der Nacht deine Träume stören?

Von der Einsamkeit deines Exils, von der Einsamkeit deines Gefängnisses, von der Einsamkeit deiner nacht hast du uns ein starkes Signal und eine schmerzliche Nachricht gesandt: Wenn die Solidarität aus dieser Welt verschwindet, lohnt sich das Leben nicht.

Abbas Aroua
Rede anlässlich der Demonstration im Gedenken an Hamid Bakiri
Chur, 3. November 2001

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