Seit zehn Jahren wird dem Bürger das Recht auf Leben und Sicherheit nicht mehr zugestanden. Zehntausende politische Gefangene werden ohne Gerichtsverfahren festgehalten, und es gibt ebensoviele Opfer der institutionalisierten Folter. Bestürzend viele Frauen wurden vergewaltigt. Zwischen 12'000 und 15'000 Verschwundene, 200'000 Tote, von denen die meisten zivile Opfer der Massenexekutionen und der verheerenden, immer noch andauernden Massaker sind. Mehr als eine Million Leute, die sich innerhalb des Landes evakuiert haben. Dies ist die traurige Wahrheit Algeriens.

Das algerische Volk erleidet unter anderem auch wirtschaftliche Not, in ihren entwürdigensten Formen. Innerhalb weniger Jahren wurde dieses Volk in die Abgründe der Armut und des Mangels getrieben. Die Zahl der Arbeitslosen betrug im Jahr 2000 durchschnittlich 35-38%. (?) Cirka jeder zweite Algerier ist arm, mit einem täglichen Einkommen von weniger als einem Dollar. Jeder fünfte Algerier ist krank. Sechs Millionen Ledige über 19 Jahren haben keinerlei Aussicht darauf, eine Familie zu gründen, besonders wegen der Wohnungskrise. All dies zum Zeitpunkt, wo der Reichtum der neuen korrpten Milliardäre, die den Baronen des Militärregimes nahestehen auf 40 Milliarden Dollar geschätzt wird (im Jahr 1999).

All dies schafft ein Umfeld, das zur Verbreitung sozialer Übel wie der Scheidung, Familienkonflikten, Selbstmorden, Drogen, Bettelei, Prostitution, Verbrechen und gesellschaftlicher Gewalt beiträgt.Das Exil ist also für viele AlgerierInnen, die dazu eine Möglichkeit haben, ein Mittel, diesem Schmerz zu entgehen und vor dieser Hölle zu fliehen.

Für andere ist Selbstmord leider der einzige Ausweg.Das bringt uns zu unserer zweiten Frage zurück: Wieso bringen sich die AlgerierInnen um? Vor dem Putsch wurden jährlich nur einige Dutzend Selbstmorde und Suizidversuche bei einer Bevölkerung von 25 Millionen Menschen registriert. Sie werden sagen, dass sei ein ertsunlich kleiner Prozentsatz. ja, tatsächlich. Als ich noch in meinem Land lebte war es selten, von einem Selbstmord zu hören. Von Zeit zu Zeit hörte man von einem Jugendlichen, der Selbstmord begangen hatte, oder versucht hatte, sich das Leben zu nehmen nach einem schulischen oder sentimentalen Misserfolg. Eine Art, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, oder um Mitgefühl zu erwecken. Und man kann sich fragen, wie es zu dieser geringen Selbstmordrate kommt: Die einen werden das mit der Sonne erklären, die in meinem Land das ganze Jahr lang scheint, und die Lebensfreude hervorruft. Andere werden sagen, es sei wegen dem starken sozialen Beziehungsnetz, die Leute wären sich sehr nahe und würden einander helfen, die Schwierigkeiten des Lebens zu überwinden. All dies stimmt. Aber es ist auch die Erziehung und die islamische Kultur, die, um das Leben zu beschützen, den Selbstmord ( ? ) verbietet. Das leben gehört nämlich nicht uns selbst, sondern seinem Schöpfer, und wir dürfen es deshalb nicht gefährden.

Leider sind die Dinge in Algerien nicht mehr so wie sie einmal waren. Die Statistiken, die durch die algerischen Autoritäten bestätigt wurden, zeigen, dass die Selbstmordrate nach dem Putsch von 1992 und nach zehn Jahren krieg um das zehnfache angestiegen ist. Vier von fünf Suizidopfern sind Männer. Von diesen sind praktisch zwei Drittel arbeitslos, und zwischen 18 und 40 Jahren alt. Am meisten Suizide werden bei Massenentlassungen registriert. Was ist also los mit meinem Land?

Die Sonne scheint nicht mehr wie früher ihn die Herzen der Frauen und Männer, die Herzen sind verdüstert durch so viele Leiden und Schmerz. Was in Algerien geschehen ist, dass zehn Jahre Krieg und Elend das soziale Gefüge aufgelöst haben, und alle dazu genötigt haben, jeder alleine für sich zu leben. Es ist die Verzweiflung derer, die über Nacht alle ihrigen in einem Massaker verloren haben. Die Verzweiflung des Familienvaters, der sich plötzlich hilflos findet, unfähig, sein tägliches Brot zu kaufen. Die Verzweiflung der Witwe, die ihre Kinder mit den Abfällen des Marktes ernährt, und die derjenigen, der nur noch das Trottoir (Prostitution) bleibt, um ihr Leben zu verdienen. Die unendliche Verzweiflung, die zum Selbstmord führt.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, Ihnen einige Beispiele zu zitieren, die Ihnen eine Ahnung dieser unendlichen Verzweiflung geben:

Im Dezember 1998 hat uns die algerische Presse einen schrecklichen Bericht über eine Familie aus dem Ort Wilaya (Souk Ahras), im Osten Algeriens erstattet:
"Eine Familie, die während mehreren Tagen nichts ass wegen der Entlassung des Vaters, dessen Lohn das einzige Einkommen gewesen war. Nachdem er an allen Türen der Administration geklopft hatte, private und öffentliche Unternehmen, und keine Mittel hatte, um mit einem behelfsmässigen Geschäft das Überleben zu sichern, und da ihn die Bettelei abstoss, schloss sich dieser Familienvater mit seiner Familie im Haus ein. Er hatte sich entschieden, diese undankbare Welt mitsamt seiner Familie zu verlassen, und wartete (?) auf den Tod." Hier also der kollektive Selbstmordversuch einer ganzen Familie, Vater, Mutter und vier kleine Kinder, der von Nachbarn, die ihre Abwesenheit bemerkt hatten im letzten Moment verhindert wurde.

Im April 2000 interessierte sich die algerische Presse für das Ausmass, die die Prostitution nahm, ein Phänomen, das alle Altersklassen, Milieus und sowohl Mädchen als auch Jungen betraf. Sie hat uns erschütternde Zeugenberichte gebracht. Zum Beispiel Nawal, eine junge Algerierin, die uns folgendes erzählte: " Nachdem ich mein Glück bei allen Ämtern für die Beschäftigung der jungen Leute versucht hatte, musste ich meine Hoffnung verlieren. Und zu diesem Zeitpunkt hat man mich mit einer Dauerstelle gelockt, wenn ich bereit wäre, dafür eine Beziehung einzugehen. Dann wurde ich ins Räderwerk der Erpressung die man mir aufzwang gezogen. Verloren wie ich war, entschloss ich, meinen Charme zur Befriedigung der Bedürfnisse meiner ganzen Familie zu vermieten."

Das Beispiel Fatma's, die über 50-jährig ist, gänzlich verarmt, und der nur die Vermarktung ihres Körpers bleibt, um die Familie zu ernähren.Zaïnouba, die traurig bemerkt: "Es gibt keine Arbeit, was wollen Sie, dass wir tun, an Hunger sterben?"

Oder die Zeugenaussage Hassiba's, 36-jährige Familienmutter, die folgendes erklärt: "Ich war sehr glücklich mit meinem Mann und meinen zwei Kindern. Die Schliesssung des Unternehmens war der Anfang unserer Probleme. Der Lohn, unsere einzige Einkommensquelle, hatte uns erlaubt, anständig zu leben. Dann kam der Wendepunkt. Zu den finanziellen problemen kamen solche, die mit der Umgebung verbunden waren, und zum Schluss die Scheidung. Ich musste alleine für die bedürfnisse meiner zwei Kinder aufkommen, was mich dazu veranlasst hat, meinen Körper zu verkaufen, trotz des Ekels, den ich dabei empfinde. Vorher hatte ich versucht, Arbeit zu finden, doch überall wo ich mich vorstellte, wurden mir als Antort zweideutige Angebote gemacht. Wenn meine zwei Töchter nicht wären, hätte ich mich schon lange umgebracht. Denn Prostituierte zu sein stösst mich ab, aber bei Gott dem Beherrscher (Allah ghaleb), es ist mein Schicksal."

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