Selektives Mitgefühl ?

Die religiösen Bonzen von Birma haben Hunger. Diese buddhistischen Mönche, die ihr Leben der Meditation widmen, sind für ihre tägliche Ernährung hauptsächlich von Gaben abhängig. Sie haben an ihrem eigenen Körper die Auswirkungen der empfindlichen Verschlechterung der Lebensbedingungen, unter denen die birmanischen Bürger leiden, gespürt. Seit mehren Tagen verlassen sie, trotz des Monsuns, trotz des Militärs ihre Klöster, um auf die Straßen von Rangun und anderen großen Städten von Myanmar zu gehen.

Gestern waren es 30.000 Mönche, die die Führung von mehr als 100 000 Menschen übernahmen, die mit einem Marsch ihren Zorn gegen Teuerung demonstrierten. Die birmanischen Demonstranten werden durch alle westlichen Medien mit Aufmerksamkeit bedacht und prägen die Schlagzeilen der Presse. Die westlichen Kanzleien brodeln. Die Politiker drängeln sich, um tiefes Mitgefühl zu zeigen und um ihre Unterstützung für die

« Safran-Revolution » sichtbar zu machen. Der kanadische Außenminister, Maxime Bernier, fordert Birma auf Dialog mit der demokratischen Opposition aufzunehmen. George W. Bush kündigt vor der UN- Generalversammlung neue US-amerikanische Sanktionen gegen die birmanische Militärjunta an. Gordon Brown ruft die EU auf, ihre Position gegen das birmanische Regime zu härten. Nicolas Sarkozy verspricht eine Delegation der birmanischen Opposition, nach seiner Rückkehr aus New York, im Élysée-Palast zu empfangen.

Man kann sich nur über diesen Elan von Menschlichkeit, über diese Bewusstwerdung vom Leid des Anderen, erfreuen. Wenn sich doch nur dieses Mitgefühl ein wenig mehr verbreiten und andere armselige Völker dieser Erde schützen würde, Völker die genau so unterdrückt sind, wie das Volk von Myanmar!

Mehr als eine Million Palästinenser, zum Beispiel, die hungernd im Gazastreifen einem illegitimen und unmenschlichen Embargo unterliegen. Ein Embargo, das nicht nur von den Israelis gefordert wurde, sondern auch von zahlreichen westlichen Hauptstädten, ja sogar von der Regierung von Mahmoud Abbas, der vor einigen Wochen, über seinen Botschafter an der UNO, die Aufrechterhaltung dieses Embargos verlangt hat.

Mehr als 30 Millionen Algerier, zum Beispiel, von denen mehr als die Hälfte unter der Armutsgrenze leben. Ein Volk das durch ein repressives und korruptes Militärregime ins Elend gestürzt wird. Ein Regime das unfähig ist, im Jahr 2007 und mit Reserven, die die 100 Milliarden Dollar überschreiten, die Bevölkerung mit Milch zu versorgen, ein Regime das… Kartoffeln aus Kanada importiert und das die jungen hoffnungslosen Algerier – ob Jungen oder Mädchen – in den tödlichen Weg der harga drängt (Überquerung des Mittelmeers auf unsicheren Booten). Dieses Regime herrscht in Algerien seit 45 Jahren, wie das von Myanmar, das seit 1962 von einer Junta geleitet wird. Es ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Länder. Im Jahre 1988 hat sich das algerische Volk aufgelehnt um sich zu befreien, genauso wie das birmanische Volk. Es wurde von Panzerdivision der Nationalen Armee auf bestialische Art und Weise niedergeschlagen, was hunderte von Todesopfer brachte. Es hat auch am Anfang der neunziger Jahre, wie in Myanmar, mit Wahlen experimentiert, aber der Wille der Junta wird sie brutal beenden, sie bricht die einzigen, freien und transparenten Wahlen die das Land gekannt hat, ab. Die Bilanz der Unterdrückung in Algerien ist jedoch nicht mit jener der birmanischen Junta zu vergleichen, denn gewiss sind die Opfer eindeutig nicht dieselben … Algerien und Birma haben letztendlich beide Erdöl und Erdgas, welches übrigens sehr von den einflussreichen, multinationalen Erdöl- und Erdgaskonzernen begehrt wird.

Wann werden wir endlich gewahren, dass die westlichen Kanzleien, die die illegitimen Regime von Algier und von Ramallah als « freundlich gesonnene Regierungen » ansehen, auch die Bevölkerungen von Gaza und Algerien mit demselben tiefen Mitgefühl behandeln, wie das Volk von Birma?

Wann werden wir endlich eine klare und verbindliche Mitteilung erhalten, dass für den Westen Muslim zu sein, entgegen dem Anschein, der sich bei den islamischen Bevölkerungen immer weiter propagiert und intensiviert, nicht unbedingt die Ausgrenzung aus dem Bereich des universellen Mitgefühls bedeutet?

Übersetzung : Monica Hostettler

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